Die Unterscheidung zwischen dem Gesetz und dem Evangelium zum rechten Verständnis der Heiligen Schrift
Bei Marin Luther und C.F.W. Walther in der lutherischen Theologie
In der lutherischen Theologie gibt es kaum Themen, die so grundlegend und gleichzeitig tiefgreifend sind wie das Verhältnis von Gesetz und Evangelium. Was genau bedeuten denn nun Gesetz und Evangelium und wie wirken diese zusammen, um uns zu Gott zu bringen? Warum ist es so wichtig diese voneinander zu unterscheiden? In diesem Artikel möchte ich genau davon schreiben. Ich denke, dass dieser Unterschied für ein richtiges Verständnis der Heiligen Schrift notwendig ist, indem wir unsere Sündhaftigkeit sehen und die rettende Gnade Gottes welche er in Jesus Christus offenbart, erkennen.
Das Gesetz
Das Gesetz beschreibt Gottes Gebote und Vorschriften, die in der Bibel, insbesondere im Alten Testament, zu finden sind. Dazu gehören zum Beispiel die Zehn Gebote (2. Mose 20) und andere moralische Anweisungen, die uns Menschen zeigen, wie wir nach dem Willen Gottes leben sollen. Diese Gesetze sind jedoch nicht nur reine historische oder kulturelle Vorschriften, sondern haben eine tiefgehende Bedeutung für den Glauben und unser Leben als Christen. Das Gesetz erfüllt dabei mehrere wichtige Funktionen, die sich in drei Gebräuchen widerspiegeln: Dem Zivilgebrauch, dem Theologischen Gebrauch und dem Normativen Gebrauch.
Der erste Gebrauch (usus civilis oder politicus): Das Gesetz hat eine zivile Funktion, indem es Ordnung in unserer Gesellschaft schafft und das Zusammenleben innerhalb der Gesellschaft regelt. Es dient uns als Richtlinie für moralisches Verhalten und verhindert durch seine Vorschriften, dass Menschen sich gegenseitig schaden und zum Beispiel Verbrechen begehen. Dies entspricht dem „Zivilgebrauch“ des Gesetzes, bei dem es die äußere Ordnung aufrechterhält und das gesellschaftliche Wohl fördert. Luther beschreibt, dass dieser erste Gebrauch des Gesetzes an sich erstmal nichts Gutes bewirken kann sondern dass dieser vielmehr ein Beleg für die Ungerechtigkeit in der Welt darstellt. Diese Argumentation versteht sich unter der Berücksichtigung der Zwei-Reiche-Lehre besser.
Der zweite Gebrauch (Usus elenchticus, spiritualis oder theologicus): Das Gesetz offenbart die Sünde und zeigt uns, unsere Unfähigkeit, Gottes Gebote vollständig zu erfüllen. Diese Erkenntnis soll zur Buße und zur Einsicht führen, dass wir auf Gottes Gnade vollkommen angewiesen sind, uns keine eigenen Werke retten können. Dies ist der zweite Gebrauch des Gesetzes, welcher uns unsere Sündhaftigkeit immer wieder aufs Neue vor Augen führt und uns auf unseren Erlöser Jesus Christus hinweisen soll. Wie Paulus es im Römerbrief beschreibt: „Durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde“ (Römer 3,20). Es dient demnach eher wie ein Spiegel indem es uns bewusst macht, dass wir die Vergebung durch das Evangelium benötigen.
Der dritte Gebrauch (Usus in renatis): Für uns Christen, welche bereits durch den Glauben gerechtfertigt sind, soll uns das Gesetz auch als eine moralische Richtschnur und Anweisung für ein gottgefälligeres Leben geben. Dies ist der dritte Gebrauch des Gesetzes. Es soll der Leitfaden für unser tägliches Leben sein und uns zeigen, wie wir in Dankbarkeit und Liebe zu Gott und unseren Mitmenschen leben können. Nicht weil uns unsere Taten in den Himmel bringen, sondern weil wir ein Gottgefälliges Leben leben wollen. Warum? Weil Jesus uns als erstes geliebt hat. Jesus fasst diesen Gebrauch zusammen, indem er sagt: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken. […] Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Matthäus 22,37-39). Das Gesetz hilft uns, unsere Liebe zu Gott und zu unserem Nächsten praktisch auszuleben.
Das Gesetz fordert uns immer wieder auf, ehrlich zu sein, anderen zu helfen und in allen Dingen Gerechtigkeit und Barmherzigkeit auszuüben. Es zeigt uns unsere eigenen Grenzen und Schwächen und ruft uns zur Buße und Umkehr. Gleichzeitig dient es uns auch als Richtschnur für das christliche Leben und hilft uns, unseren Alltag gemäß Gottes Willen zu gestalten. Indem wir das Gesetz verstehen und in unserem Leben auch versuchen umzusetzen, erkennen wir unseren eigenen Sünden und Gesetzesübertretungen und nachfolgend dann die Notwendigkeit der Gnade, die uns durch das Evangelium zuteilwird. Es soll uns also direkt zum Evangelium hinführen, indem es uns unsere Fehler zeigt und uns die Vollkommenheit und Liebe Gottes vor Augen führt. Kommen wir nun zu diesem Evangelium.
Das Evangelium - Die gute Nachricht
Das „Evangelium“ bezeichnet die gute Nachricht von der Rettung und Vergebung durch Jesus Christus. Es ist die Botschaft der Bibel, besonders der des Neuen Testaments und ist das Herzstück des christlichen Glaubens. Im Gegensatz zum Gesetz, welches uns die Sünde offenbart, verkündet das Evangelium die Vergebung der Sünden und das Geschenk des ewigen Lebens. Es ist die notwendige Ergänzung zum Gesetz. Das Evangelium verkündet die unverdiente Gnade Gottes, die durch den Tod und die Auferstehung Jesu Christi am Kreuz erlangt und für uns sichtbar wurde. Es ist die Botschaft, dass alle Menschen, unabhängig von ihren Sünden, allein durch den Glauben an Jesus Christus Vergebung und ewiges Leben erhalten können. Diese Gnade ist bedingungslos und nicht von den eigenen Werken oder Verdiensten abhängig, sondern allein ein Akt von Gott selbst, indem er uns seine Gnade schenkt. Ein Vers, welcher diese Argumentation stützt, finden wir z.B. im Römerbrief. Dort schreibt Paulus: „Gerechtigkeit aber kommt von Gott und wird allen geschenkt, die an Jesus Christus glauben“ (Römer 3,22).
Es befreit uns außerdem, indem es uns einerseits von der Last der Gesetzlichkeit und andererseits von dem Versuch, sich selbst durch gute Werke zu rechtfertigen, befreit. Stattdessen werden wir Gläubige in die Freiheit eines neuen Lebens in Christus geführt. Vgl. Galater 5,1. In der Schrift “Die Freiheit eines Christenmenschen” von Luther kann man diese Argumentation noch tiefer verstehen. Das Evangelium befreit uns von der Verurteilung durch das Gesetz und schenkt uns die Freude und den Frieden Gottes. Es ist außerdem die Grundlage des christlichen Glaubens und dient als Quelle aller geistlichen Kraft in uns. Es gibt uns die Gewissheit der Vergebung und des ewigen Lebens und stärkt gleichzeitig unseren Glauben an Gott. Durch das Evangelium wird unser Glaube genährt und gestärkt, und wir erfahren die Liebe und Treue Gottes in unserem Leben. Nur dadurch können in uns die Früchte des Geistes wachsen. Die Apostel schreiben im ersten Korintherbrief: „Denn das Wort vom Kreuz ist eine Kraft Gottes“ (1. Korinther 1,18). Das Evangelium ist die Botschaft, die unsere Herzen erneuert und uns zu Zeugen der Gnade Gottes macht.
Die gute Nachricht schenkt uns inneren Frieden, auch, bzw. gerade in Notzeiten und in Zeiten des Zweifels. Es verändert und stärkt unsere Beziehung zu Gott und zu unseren Mitmenschen, indem es uns zu einem Leben der Liebe, des Mitgefühls und der Vergebung anregt. Weil Gott uns als erstes geliebt und vergeben hat, können wir das bei unserem Nächsten auch. Durch das Evangelium erleben wir eine neue Identität in Christus, welche uns durch den Heiligen Geist befähigt, nach den Prinzipien des Reiches Gottes zu leben und Hoffnung zu verbreiten. Gerade wenn du z.B. selbst Probleme mit vielen Sünden hast. Schau nicht auf dich selbst, sondern auf Jesus welcher alles für dich erreicht hat, was du nicht erreichen konntest. Wir können niemals selbstständig vor Gott bestehen. Könnten wir das, hätte Jesus nicht am Kreuz für uns sterben müssen. Wenn du das bis hier hin soweit verstanden hast, möchte ich jetzt zum eigentlichen Thema dieses Artikels kommen. Der rechten Unterscheidung zwischen dem Gesetz und dem Evangelium.
Unterscheidung Gesetz und Evangelium
C.F.W. Walther stellt in seiner sechsten Abendvorlesung folgende (dritte) These auf:
“Gesetz und Evangelium recht zu unterscheiden, ist die schwierigste und höchste Christen- und Theologenkunst, die allein der Heilige Geist in der Schule der Erfahrung lehrt.”
Anhand dieses Zitats kann man allerdings schon erkennen, dass es eigentlich ein lebenslanger Prozess ist, sich diese Unterscheidung zu Herzen zu nehmen und zu verstehen. Und das auch nicht aus dem eigenen Intellekt, sondern mit Hilfe des Heiligen Geistes. Als geistliche Einsicht als auch durch spezifische Lebenssituationen, welche uns erleben lassen wie das Gesetz und das Evangelium zusammen wirken.
Die Unterscheidung zieht sich durch die gesamte Bibel und ist für uns Christen jeden Tag von großer Bedeutung. Die Notwendigkeit, zwischen Gesetz und Evangelium zu unterscheiden, ergibt sich aus ihren jeweils unterschiedlichen Funktionen und Wirkungen, wie ich eben bereits beschrieben habe. Eine Vermischung führt oft zu einem verfälschten Verständnis des Glaubens, welches in manchen Fällen sehr schwerwiegende Folgen hat. Das Gesetz darf nicht als Weg zur eigenen Erlösung dienen. Es zeigt uns nur die Sünde auf und führt uns zur Erkenntnis, dass wir die Gnade Gottes benötigen, die uns durch das Evangelium angeboten wird. Eine falsche Vermischung kann zu einer Gesetzlichkeit führen, bei der Menschen versuchen, sich selbst durch gute Werke vor Gott zu rechtfertigen. Diese Haltung kann zu einer erdrückenden Last der Gesetzlichkeit führen und den Menschen die Gewissheit der Vergebung nehmen. Martin Luther erlebte das zu seiner Lebzeit massivst. Des weiteren wirft man Gott im Endeffekt vor, dass Jesus Tod am Kreuz nicht ausreichte, um Vergebung zu erlangen und uns gerecht zu sprechen. Es wäre Jesus Tod am Kreuz plus unsere Werke. Oder, dass wir diese Gerechtigkeit in unserem Leben durch Werke wachsen lassen müssen. Dies ist für die Rechtfertigung jedoch völlig der falsche Ansatz. Gute Werke dienen uns in der Heiligung, ja. Aber entweder man wird vor Gott gerecht gesprochen, nämlich unverdient durch das Kreuz, oder nicht - und das einmalig bei der Rechtfertigung. Anders kann aber auch eine Vernachlässigung des Gesetzes z.B. dazu führen, dass die Bedeutung der Buße und der moralischen Orientierung in der christlichen Lebensführung untergraben wird. Dies kann zu einem falschen Verständnis von Freiheit führen, bei dem das Gesetz als irrelevant angesehen wird und eine Tendenz zur Gesetzlosigkeit entsteht. Eine solche Haltung vernachlässigt die Notwendigkeit, in Übereinstimmung mit Gottes Willen zu leben und die geistliche Reife zu entwickeln. Sünden werden dann nicht mehr als Sünden, sondern als Relikte der Geschichte angesehen die man dankend verwirft. Sie waren zwar mal nach früherem Verständnis eine Sünde, aber naja, man muss ja mit der Zeit gehen, oder so. Danach folgt meistens, dass nur auf Gottes Liebe geachtet wird, nicht aber auf seine Gerechtigkeit. “Wie kann ein liebender Gott Menschen in die Hölle werfen?” usw. Gottes Warnungen vor Sünden sind zeitlos. Ist es nicht so, dass Gottes Gesetz uns Menschen in das Herz geschrieben wurde? (Vgl. Römer 2,14-16) Oder fangen wir morgen damit an Mord, Diebstahl uvm. nicht mehr zu verurteilen? Das wäre weder liebend noch gerecht. Und Gott IST Gerechtigkeit und Liebe in Person, welche beide auch parralel existieren müssen, da sie voneinander abhängig sind. Wäre Gott nicht gerecht wäre er auch nicht liebend und vice versa.
“Es werden Stunden kommen, wo Sie Gesetz und Evangelium nicht werden scheiden können. Aber wenn das Gesetz Sie verdammt, so sollen Sie gleich das Evangelium ergreifen.” - C.F.W. Walther
Wenn das Gesetz nicht korrekt gehandhabt wird, kann es dazu führen, dass Menschen in ihrer Sünde festgehalten werden, ohne die befreiende Botschaft des Evangeliums zu hören. Umgekehrt kann eine unzureichende Betonung des Gesetzes dazu führen, dass man sich nicht mit den eigenen Sünden auseinandersetzt und keine echte Buße erlebt. Dieser Artikel soll anregen sich weiter mit dem Gesetz und dem Evangelium zu beschäftigen. Dazu empfehle ich für das weitere Studium, selbst Werke von Luther oder C.F.W. Walther über das Gesetz und Evangelium zu lesen. Es ist wichtig die Balance zwischen Gesetz und Evangelium zu finden. Das Gesetz muss zur Buße führen, ohne dass man in Verzweiflung stürzt. Bedeutet konkret, dass man Sünden erkennt und versucht sich von diesen abzuwenden. Wir sind nun keine Sklaven der Sünde mehr. Das Evangelium schenkt einen gleichzeitig Trost und Hoffnung, indem man die Liebe Gottes wahrnimmt ohne aber zeitgleich das Gesetz außer Acht zu lassen. Gesetz und Evangelium sind für ein rechtes Verständnis der Heiligen Schrift beide notwendig. Das Gesetz hilft, die Notwendigkeit der Gnade vor Augen zu führen, während das Evangelium einem die Gewissheit über Gottes Gnade schenkt.
Wer aufmerksam liest, dem ist vielleicht das Bild von Lucas Cranach ganz am Anfang dieses Artikels ins Auge gesprungen. Ich möchte hierzu auch noch kurz etwas schreiben. Zuallererst rate ich, dass man sich Zeit für das Bild nimmt und es eine längere Zeit betrachtet. STOP, nicht weiterlesen :) hier folgt eine kleine Interpretation.
Auf der linken Seite wird das Gesetz dargestellt in dem Adam und Eva unter dem Baum der Erkenntnis stehen. Sie sind von verschiedenen Tieren umgeben. Hier kann man den Moment des Sündenfalls erkennen, welcher die Menschen unter die Sklaverei der Sünde brachte. Im Vordergrund steht Mose, welcher die 10 Gebote in den Händen hält. Diese sollen den Menschen ihre Sündhaftigkeit offenbaren und gleichzeitig Gottes Anspruch an uns Menschen, heilig zu sein darstellen. Der Dämon und das Skelett fällt dabei besonders auf, welche einen Menschen in die Hölle drängen. Diese symbolisieren die Verdammnis und den ewigen Tod, welches das Gesetz für alle bringt, die es nicht vollkommen erfüllen können. (Niemand außer Jesus) Christus wird als Richter dargestellt, der die Sünden der Menschheit bestraft. Hier wird die Strenge des Gesetzes, und die Unmöglichkeit durch eigene Werke gerecht zu werden, deutlich.
Auf der rechten Seite sehen wir, wer hätte es gedacht, das Evangelium. Hier muss man etwas genauer hinschauen, um die Dinge im Hintergrund nicht zu übersehen. Na, habt ihr die Hirten gesehen, welche den Anfang der Verkündigung und des neuen Bundes symbolisiert? Ich auch erstmal nicht. Konzentrieren wir uns zunächst auf den Vordergrund: Johannes der Täufer zeigt auf Jesus, welcher das Lamm Gottes ist, welches die Sünde der Welt hinwegnimmt. (Vgl. Johannes 1,29) Ziemlich in der Mitte der rechten Hälfte können wir das Kreuz erkennen an dem Jesus gekreuzigt wurde. Das ist das Ereignis, um das es geht. Ohne die Kreuzigung und die Auferstehung wäre der Tod nicht besiegt. Erst dadurch können unsere Sünden stellvertretend vergeben werden. Im oberen Teil des Bildes sehen wir den auferstandenen Herrn, welcher zum Himmel hinauffährt. Im Vergleich zur linken Seite erscheint Jesus auch nicht als Richter, sondern als gnädiger Gott, welcher die Sünden vergibt und ewiges Leben schenkt.
Solche Bilder können helfen sich theologische bzw. Biblische Konzepte einzuprägen. Wer sich dieses Bild vor Augen hält, erinnert sich leichter an die einzelnen Aspekte. Im Endeffekt fasst dieses Bild sogar die Kernbotschaft der Reformation zusammen: Allein durch den Glauben an Jesus Christus und nicht durch die eigene Erfüllung des Gesetzes werden die Menschen gerettet. Wer versucht das Gesetz zu halten, muss theoretisch alles halten. (Vgl. Jakobus 2,10) Und das kann nur einer: Gott selbst, welcher sich uns in Jesus Christus als Mensch offenbart hat.